Freitag, 11. Oktober 2024
Religion nicht für die Hinterhöfe

V.l.n.r.: Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst und Achim Weber (Referent im rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministerium) diskutierten über die Rolle von Kirche und Staat © Uwe Rauschelbach
Podiumsdiskussion über die Rolle von Kirche und Staat in einer pluralistischer werdenden und von zahlreichen Krisen heimgesuchten Gesellschaft
Landau. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist besser als sein Ruf. Diese Position haben die Vertreter von Kirchen und Politik bei einer Podiumsdiskussion im südpfälzischen Landau vertreten. Sie wurde veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Landau. Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann und der Referent im rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministerium, Achim Weber, stimmten darin überein: Das grundgesetzlich verankerte Modell, das sowohl auf der Trennung von Kirche und Staat wie auf deren Kooperation beruht, habe Zukunft.
Die Kirchen trügen zu gesellschaftlicher Pluralität bei, sie setzten dem Staatsmonopol zugleich Schranken: In dieser Einschätzung war sich die Kirchenpräsidentin mit dem Bischof einig. Den gesellschaftlichen Auftrag der Kirchen bekräftigte Wiesemann mit den Worten: „Wir wollen Religion nicht in die Hinterhöfe verbannen.“
Der Mainzer Wissenschaftsreferent Achim Weber sah die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und staatlichen Institutionen vor allem im Religionsunterricht, in der Gefängnis- und Militärseelsorge, der Präsenz in den Rundfunkräten und auch in der Erhebung der Kirchensteuer realisiert. Obendrein hätten die Kirchen im von Hochwasserfluten heimgesuchten Ahrtal 2021 auf unbürokratische Weise seelsorgerliche Hilfe geleistet. „Das zeigt“, so Weber, „dass das System funktioniert“.
Dorothee Wüst machte obendrein deutlich, dass die Erhebung der Kirchensteuer keine staatliche Dienstleistung sei, sondern von den Kirchen entlohnt werde. Es handele sich demnach um eine „Win-win-Situation für beide Seiten“. Gerade das Kirchensteuersystem sei jedoch häufig Anlass für oberflächliche Kritik an der Kooperation von Kirche und Staat.
Dies gilt, so die Kirchenpräsidentin, auch für die Frage der Präsenz von christlichen Kreuzen im öffentlichen Raum. Das Kreuz sei nicht nur Glaubensdokument, sondern auch Zeichen der christlich-jüdischen Tradition dieses Landes. Dass das Kreuz Widerstand provoziert, zeigt nach Auffassung Bischof Wiesemanns, wie lebendig die christliche Botschaft nach wie vor sei.
Schmerzliche Eingeständnisse mussten die Vertreter von Kirche und Politik gegenüber Moderatorin und SWR-Redakteurin Nicoletta Prevete machen, die den grassierenden Vertrauensverlust in beide Institutionen ins Spiel brachte. Achim Weber sah die Herausforderung vor allem darin, mit Menschen in den digitalen Foren zu kommunizieren. Laut Bischof Wiesemann muss deutlich gemacht werden, dass Demokratie nicht nur die beste, sondern auch die anspruchsvollste Staatsform sei. In den Kirchen selbst sei eine neue „Dialogkultur“ nötig.
Nach Überzeugung Dorothee Wüsts haben die durch die Corona-Pandemie ausgelösten gesellschaftlichen Veränderungen dazu geführt, dass sich Menschen „abgehängt“ fühlen. Zusätzlich hätten die Fälle von sexualisierter Gewalt in beiden Kirchen bewirkt, dass sich Menschen abwendeten. „Es ist mühselig, Vertrauen wieder zurückzugewinnen“, meinte die Kirchenpräsidentin. Der „Kulturwandel“ in den letzten Jahren zeige aber, dass es mehr und mehr darauf ankomme, auf Menschen zuzugehen, statt auf sie zu warten.
Wissenschaftsreferent Achim zufolge werden in Rheinland-Pfalz „Demokratiebotschafter“ ausgebildet, um für Aufklärung zu sorgen. Bischof Wiesemann bewertete die Rolle der Kirchen diesbezüglich eher nüchtern. Diese müssten einsehen, dass sie nicht mehr das „Wort von oben“ sprächen, das allgemein wahrgenommen werde, sondern mittlerweile eine Stimme von vielen seien. Ferner halte der Mitgliederschwund an: „Wir werden dramatisch weniger“, so Wiesemann.
Beide Kirchenvertreter sprachen sich dann auch für die Fortsetzung der ökumenischen Bemühungen aus. „Wir haben schon einen weiten Weg hinter uns gebracht“, resümierte die Kirchenpräsidentin. Die Kirchen teilten die Erfahrung, „dass man dabei nicht etwa Identität verliert, sondern gemeinsam gewinnt“.
Text: Uwe Rauschelbach, Pilger